Keine Eile bim Abnabeln

Die Nabelschnur – ein Wunderwerk der Natur

Die Nabelschnur ist nicht nur ein wahres Wunder während der Schwangerschaft. In dieser Zeit versorgt sie über die Plazenta das heranwachsende Baby im Bauch neun Monate zuverlässig mit Nahrung und Sauerstoff.

Auch nach der Geburt kommt der Nabelschnur eine essenzielle Aufgabe zu: Kommt das Baby zur Welt, bleibt diese exklusive Verbindung zum Mutterkuchen noch eine Weile erhalten, um dem Neuankömmling noch eine extra Portion an Sauerstoff, Nährstoffen und Mineralien übers Blut zuzuführen. Das ist zu erkennen am Pulsieren der Nabelschnur. Direkt nach der Geburt befindet sich noch ungefähr ein Drittel Blut vom Baby in der Plazenta. Dieses wird in den folgenden Minuten zum Baby transportiert. Das erweitert die Lungen und macht sie bereit, Luft zu atmen. Das Baby nimmt seine Atmung also auf, während es gleichzeitig von der Versorgung durch die Nabelschnur unterstützt wird, solange es dies benötigt. Ein sanfter Start ins Leben!

Ist das Kind in seiner eigenen Atmung und im Kreislauf stabil, hat die Nabelschnur ihre Funktion erfüllt: Sie verklebt und verschließt sich von innen. Die Nabelschnur ist jetzt komplett weiß und pulsiert nicht mehr, das Baby hat sein Blut bekommen. Das dauert üblicherweise zwischen 3 bis 30 Minuten. Das Baby kann nun der Plazenta das Signal geben: „Ich bin raus, mir geht es gut, du kannst dich jetzt lösen“, erklärt Dr. Sven Hildebrand.

 

Auf diesen Bildern ist zu sehen, wie die Nabelschnur sich nach der Geburt verändert. Ist sie in Abbildung 1 noch prall und voller Blut, so sieht man sie in Abbildung 6 komplett weiß und blutleer. Nun ist ein sicherer Zeitpunkt zum Abnabeln.

10 Gründe für ein „spätes“ Durchtrennen der Nabelschnur

 

In der Medizin wird von einem späten Abnabeln bereits bei 30-120 Sekunden nach der Geburt gesprochen. Statt von einem späten Abnabeln, ist es passender, von einem normalen Abnabeln zu sprechen. Wird also gewartet, bis die Nabelschnur auspulsiert ist bevor sie abgeklemmt und durchtrennt wird, gibt es folgende Vorteile (die ja eigentlich der von Natur aus vorgesehene Normalfall sind):

 

30% mehr Blut und bis zu 60% mehr rote Blutzellen kommen dahin, wo sie hingehören: ins Baby.

Mehr Eisen: ein erhöhter Eisenvorrat, eine um durchschnittlich 45 % höhere Ferritinkonzentration und seltener Eisenmangel. Das bezieht sich nicht nur auf die Geburt, sondern hält in den ersten 6 Lebensmonaten an.

Vermindertes Risiko einer Anämie.

Höheres Geburtsgewicht: Erhält ein Baby sein volles Blutvolumen, so hat es auch ein höheres Geburtsgewicht im Gegensatz zum Gewicht beim frühen Abnabeln. Das ist als gut und gesund anzusehen und insbesondere wertvoll bei Frühgeborenen oder kleinen Babys.

Erhöhte Eisenvorräte können die neurologische Entwicklung des Kindes verbessern.

Mehr Sauerstoff.

Mehr Stammzellen.

Vermindertes Risiko (insbesondere bei Frühgeborenen) einer Ventrikelblutung, einer späten Neugeboreneninfektion (late onset Sepsis) sowie einer nekrotisierenden Enterokolitis.

Weniger Bluttransfusionen.

Weniger Lösungsprobleme bei der Plazenta.

 

 

Das frühe Durchtrennen der Nabelschnur

 

Wird die Nabelschnur durchtrennt, noch bevor sie aufgehört hat zu pulsieren, wird das Baby vollständig von seiner zusätzlichen Sauerstoffquelle getrennt und es beginnt sein Leben mit viel weniger Blut im Kreislauf, als es normal wäre. Auf ungefähr 100 ml Blut muss das Baby dabei verzichten, nur 300 ml hat es im Körper. Das erhöht sein Risiko für Anämie, Hypothermie und andere Probleme. Mit dem Blut fehlt aber nicht nur die Flüssigkeit, sondern auch äußerst wichtige Stammzellen und Immunfaktoren.

 

Obwohl diese Zusammenhänge ausreichend erforscht und belegt sind, ist in der Praxis leider häufig an anderes Bild anzutreffen:

 

Kaum erblickt das Baby das Licht der Welt, folgt in den meisten Kliniken innerhalb der nächsten Sekunden beinahe reflexartig der Griff zu Klemme und Schere, um die Nabelschnur zu durchtrennen. Das ist unglaublich, angesichts der oben beschriebenen Vorgänge, die damit abrupt unterbrochen werden.

 

Erasmus Darwin schrieb bereits im Jahre 1801: „Eine weitere sehr schädliche Praxis ist das zu frühe Abbinden und Durchtrennen der Nabelschnur; diese sollte immer intakt bleiben, nicht nur bis das Kind  gleichmäßig atmet, sondern auch bis jede Pulsation der Nabelschnur aufhört. Ansonsten ist das Kind viel schwächer als es sein sollte, ein Anteil Blut verbleibt in der Plazenta, die eigentlich im Kind sein sollte.“

 

 

 

Wozu also diese Eile?

 

Es stellt sich also die Frage, warum die Nabelschnur mit einem solchen Eifer möglichst schnell durchtrennt wird. Es ist schließlich davon auszugehen, dass die Fachleute, in deren Hände wir uns begeben, der Gesundheit von Kind und Mutter den höchsten Stellenwert beimessen. Es müsste also einen dringlichen medizinisch notwendigen Grund geben, das Kind vom Mutterkuchen so schnell zu trennen.

 

Annahme 1: Das direkte Abnabeln verhindert verstärkte Nachblutungen.

Falsch! Es gibt keine überzeugenden Argumente, die diese Annahme stützen: In mehreren großen Studien, unter anderem eine 2009 durchgeführte Cochrane-Studie, an der mehr als 2.200 Frauen teilgenommen haben, wurde kein signifikanter Unterschied in der Stärke der Nachblutung zwischen frühem und späterem Abnabeln gefunden.

Annahme 2: Wird nicht direkt abgenabelt, führt dies zu einer verstärkten Gelbsucht beim Baby.

Falsch! Ein Neugeborenenikterus trat beim späteren Abklemmen der Nabelschnur nicht häufiger auf. Es mag auf den ersten Blick logisch erscheinen, dass mehr Blut zu mehr Bilirubin (dem Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffs) führt. Dennoch konnte kein signifikanter Unterschied im Bezug einer Gelbsucht zwischen direktem und späteren Abnabeln festgestellt werden. Das mag damit zusammenhängen, dass die Leber durch den verbesserten Blutfluss das Bilirubin effektiver abbauen kann.

 Annahme 3: Wird nicht direkt abgenabelt, verliert das Baby Blut, weil es zurück zur Plazenta fließt.

Falsch! Das Blut fließt direkt nach der Geburt nur noch in eine Richtung: von der Plazenta zum Baby. Die Nabelschnur-Arterien schließen sich zuerst, sodass nahezu jeglicher Blutfluss vom Baby zur Plazenta ausgeschlossen ist. Die Nabelschnur-Vene verschließt sich erst später und ermöglicht dem Baby so, die noch notwendige Portion Blut zu erhalten. Fakt ist, dass Babys die später abgenabelt werden ungefähr 30% mehr Blutvolumen haben, als wenn die Nabelschnur direkt durchtrennt wird.

Annahme 4: Falls das Baby eine Reanimation benötigt, ist es am besten es schnell abzunabeln, um es versorgen zu können.

Falsch! Eines der ersten Dinge, die ein versorgungspflichtiges Baby erhält, sind Flüssigkeitsgaben. Diese kann es jedoch am besten über die Plazenta erhalten. Wird das Baby unter Plazentaniveau gehalten, bekommt es diese „Bluttransfusion“ noch schneller, und um diesen Vorgang zusätzlich zu beschleunigen, kann sogar die Nabelschnur zum Kind hin ausgestrichen werden, sodass max. 30 Sekunden von Nöten sein werden, um die vollen Vorteile zu nutzen. Besonders Frühgeborene zeigen durch dieses Vorgehen einen stabileren Kreislauf, können besser atmen und haben seltener eine der gefürchteten Hirnblutungen. Zudem brauchen sie während der ersten Lebensmonate weniger Blutersatz. Frühgeborene, so zeigen Untersuchungen, liegen weniger lang auf der Intensivabteilung und können früher nach Hause.

 

Dieser einfache Vorgang, das spätere Durchschneiden der Nabelschnur, hat also einen enormen Nutzen für Babys. Die hauptsächliche Ursache, warum die Nabelschnur trotzdem meistens viel zu früh durchtrennt wird, liegt nach Angaben dieser Umfrage zufolge an…nennen wir es… „Schwierigkeiten das Vorgehen in die Praxis umzusetzen“. Eine Routine umzustellen, ist bekanntermaßen nicht immer einfach. Es könnten auch wertvolle Minuten verloren gehen, während man auf das Auspulsieren der Nabelschnur wartet, in denen das Baby schon längst gewogen und fertig gemacht werden könnte.


 

durchtrennen der nabelschnur 2 durchtrennen der nabelschnur
Diese Nabelschnur links ist noch in voller Funktion, während die Mama mit ihrem Baby kuschelt.
Rechts dasselbe Baby, das jetzt mit seinem Vater kuschelt…während es mit der Plazenta in der Schüssel noch verbunden ist. Beachte, dass die Nabelschnur nun dünn und weiß geworden ist.
Bildquelle mit Dank von: http://www.nurturingheartsbirthservices.com/blog/?p=1958

 

 

Welche Möglichkeiten gibt es, die Nabelschnur zu durchtrennen?

  • sofort (sollte nur in unbedingt zwingenden Gründen stattfinden)
  • nach Auspulsieren und noch vor der Geburt der Plazenta (5-30 min nach der Geburt)
  • irgendwann nach Geburt der Plazenta
  • nach Eintrocknen der Nabelschnur (dauert 1-2 Tage)
  • gar nicht: warten, bis der Nabel abheilt und die Nabelschnur von allein abfällt (sogenannte Lotusgeburt, das kann bis zu 10 Tagen dauern)

 

 

 

Was kannst du tun, um deinem Baby den Start ins Leben zu erleichtern?

Generell lässt sich sagen: Die Art und Weise wie ein Kind nach der Geburt im Leben ankommt, kann durch die Art und Weise des Abnabelns oder Abwartens stark beeinflusst werden. Du kannst dich dafür einsetzen, dass dein Kind einen möglichst sanften Übergang vom Leben im Bauch in das neue Leben hat.

Das frühe Abklemmen und Durchtrennen der Nabelschnur stellt einen Eingriff in den normalen, von Natur aus vorgesehenen Ablauf der Geburt dar, der ohne adäquate Studien eingeführt wurde. Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass das frühe Abnabeln nachteilig sowohl für Frühgeborene, als auch für zeitgerecht geborene Kinder ist. (UK Royal College of Obstetricians and Gynaecologists, 2009)

Du solltest wissen, dass in den meisten Kliniken das frühe Abnabeln üblich ist. Dies ist Bestandteil der „aktiven Leitung der Nachgeburtsperiode“ zu der dir auch eine Hormonspritze gegeben wird, um die Geburt der Plazenta zu beschleunigen.

Das letzte, woran du nach der Geburt denkst, ist die Nabelschnur. Bespreche also im Voraus deine Wünsche mit dem Krankenhauspersonal und lasse sie in deine Akte aufschreiben, sodass sie für alle klar und ersichtlich sind.

 

 

 

Quellen:

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