Publiziert: 08.01.2016 / 07:12
Die Produktion von Milch wird vermehrt zugunsten von Fleisch aufgegeben. Das birgt Risiken für die Landwirtschaft.
Quelle: Bauernzeitung vom 08.01.2016
Die Milchbauern hängen ihr Melkgeschirr an den Nagel und verlagern ihre Produktion in den geschützten Fleischmarkt. (Der Weg des gringsten Widerstandes) Das zeigt sich am rückläufigen Milchviehbestand, während der gesamte Rindviehbestand der Schweiz ziemlich stabil bleibt.
Nur ist das Wachstumspotenzial im Bankviehmarkt beschränkt, wie Heinrich Bucher, Direktor der Fleischbranchenorganisation Proviande sagt. Noch sind die Bankviehpreise gut,
nämlich «solange beim Bankvieh der Selbstversorgungsgrad nicht wesentlich über den heutigen Wert von 80 Prozent steigt und ein Mengenausgleich bei Edelstücken über Importe möglich ist.» Ist das
gewährleistet, sei die Entwicklung für die Fleischbranche positiv, findet Bucher. (Der Fleischmarkt ist noch geschützt, daran wird aber schon lange gekratzt und es
wird absehbar, dass auch dieser dem Freien Handel anheimfällt. Willkommene Freihandelsabkommen [TTIP] lassen grüssen. Als müssste sich der siebenschlaue Heinrich Bucher mal um einen Ausweg
kümmern, welcher dem Eigenversorgungsgrad und der Qualität wieder Aufschwung bieten könnte - leider sind diese Führer mit Blindheit und Geldgier geschlagen...
Das verrückte an diesen Freihandelsabkommen: alle wollen diese, obwohl damit der geschützte Markt aufgehoben ist, und uns alles ungeprüft untergejubelt werden kann, womit die Volksgesundheit noch mehr leidet. Nun das ist Agenda, dies ist ein Beitrag an die laufende Bevölkerungsreduktion.
Martin Rufer, Leiter des Departements Produktion, Märkte und Ökologie beim Schweizer Bauernverband, relativiert den Effekt: «Die Auswirkungen sind meiner Meinung nach eher
schwach», sagt er. Zusätzlich sorgt der züchterische Fortschritt bei der Milchproduktion dafür, dass der Milchkuhbestand zwar sinkt, die Gesamtmilchmenge aber ziemlich konstant bleibt. Die nach
wie vor hohe Milchmenge wird damit aber nicht reduziert.
Kurzfristig marktgerecht, mittelfristig problematisch
Weil rund 80% der Produktion von rotem Fleisch direkt mit der Milchproduktion
zusammenhängen, müsse man die kurz- und mittelfristigen Perspektiven trennen, sagt Kurt Nüesch, Direktor der Schweizer Milchproduzenten (SMP). (Die
kurzfristigen Begierden zu befriedigen, haben meist zur Folge, dass das langfristige Überleben gefährdet wird.)
Kurzfristig ist die Grenze im Fleischmarkt gut befestigt.
Mit Zöllen und Importkontingenten ist es bisher gelungen, das inländische Preisniveau beim roten Fleisch weitestgehend zu erhalten. Für Landwirte kann es sich deshalb lohnen, ihre Produktion anzupassen. Sie verlassen damit allerdings den im internationalen Vergleich wettbewerbsfähigeren Produktionszweig Milch und ziehen quasi ins Reduit, die Produktion von rotem Fleisch. Kurzfristig ist das absolut marktgerecht, längerfristig ist die anhaltende Abwanderung der Milchbauern in den geschützten Fleischmarkt allerdings mit Risiken behaftet. Denn im Milchbereich haben die Bauern und die Milchverarbeiter wesentliche Auslanderfahrung. «Beim Fleisch fehlt dieses Wissen heute noch weitestgehend», sagt Heinrich Bucher. Das könnte zu einem Wettbewerbsnachteil werden.
Transatlantisches Damokles-Schwert
Denn kommt die Schweiz durch die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) unter Zugzwang, ist eine weitere Liberalisierung der Agrarmärkte nicht ausgeschlossen. Davon besonders betroffen könnte auch die bis dahin gut geschützte Fleischbranche sein. «Ob das tatsächlich der Fall sein wird, ist derzeit noch völlig offen», erklärt Kurt Nüesch.
Anstelle sich solchen Spielchen herzugeben, um kurzfristige Gewinne einzufahren und dabei die ganze Landwirdschaft endgültig an die Wand zu fahren, würden die Herren (SMP, Bauernverband und aller kleinen Milch-Regional-Gruppierungen) besser daran tun, auf die urtümlichen Werte der Schweiz zu besinnen.
Qualität und Alleinstellungsmerkmal sind in der Marketingschule die Maximen gewesen, als ich diese Schule in den 90 Jahren besucht habe, welche für die Konkurrenzfähigkeit der Schweiz massgebend sind. Weshalb muss die schweizerische Landwirtschaft genau die gleichen Fehler begehen, wie das Ausland, wo absolut und einzig die Gewinnmaximierung auf Kosten des Tierwohls und auf Kosten der Volksgesundheit praktiziert wird.
Genau dieses haben einige wenige Landwirt erkannt und sind auf BIO-Landwirtschaft umgestiegen, welches ja der grosse Boom ist und noch Geld verdient werden kann
damit. Die aktuelle (seit 20 und mehr Jahren läuft diese bereits) Industrialisierung der Vieh- und Milchwirtschaft mit Hilfe der staatlichen Subventionierung ist ein Bumerang. Sie lässt jährlich
1000 bis 1200 Landwirtschaftsbetriebe verschwinden, sie bringt viele bäuerliche Existenzen in Trudeln und zum Absturz, Familienschicksale inbegriffen, durch Massenzucht mit Industriefütterung
erreicht die weniger werdende Betreuung und die kränkelnde Landwirtschaft zwar mehr Produktion, also Milch und Fleisch, aber mit welcher Qualität? Der Ernährungskreislauf trifft nun auf den
Menschen, welcher krank wird. Die Ursache der Volkskrankheiten liegen zum grossen Teil auf der verfehlten Landwirtschaftpolitik, welche von Schreibtischtätern gebildet wird. Bauern steht auf,
lasst Euch nicht Euer eigenen Henker sein.
Zwar ist das TTIP das letzte grosse Handelsprojekt des bald scheidenden US-Präsidenten. Ein Abschluss per Ende 2016 ist dabei ebenso möglich wie eine durch den US-Wahlkampf
bedingte Verzögerung. «Bis Mitte Jahr sollten wir wissen, ob mit einem baldigen Abschluss zu rechnen ist», meint Nüesch.
Derweil bleibt der Druck auf die Milchproduzenten
hoch, die Preise werden sich kaum erholen – und im A-Segment geht die Milchmenge weiterhin leicht zurück.
Hansjürg Jäger