Mobilüberwachung in der Schweiz
Strafverfolger fischen breit in Handy-Netzen
Seit den Terroranschlägen von Paris hat die Frage erneut an Brisanz gewonnen: Welche Mittel sollen die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden zur Überwachung der Bürgerinnen und Bürger erhalten? In der kommenden Dezembersession bereinigen die eidgenössischen Räte die Revision des Bundesgesetzes über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf). Dabei geht es zwar nicht um Terrorabwehr, sondern um die klassische Strafverfolgung. Es besteht kein Zweifel, dass das Parlament das Gesetz verabschieden wird. Als wahrscheinlich gilt aber auch ein Referendum. Währenddessen warten die kantonalen Polizeien sehnlich auf das neue Gesetz – unter anderem, weil sie damit endlich eine rechtlich saubere Grundlage für den Einsatz von sogenannten IMSI-Catchern erhalten.
ALSO GANZ KLAR: REFERENDUM GEGEN DIESEN PARLAMENTSBESCHLUSS ERGREIFEN!
Als Mobilfunkantenne getarnt
IMSI-Catcher (die Abkürzung steht für «International Mobile Subscriber Identity») sind Geräte zur Überwachung der Handy-Daten in einem bestimmten Umkreis. Sie tarnen sich als Mobilfunkantenne, spähen aber alle Mobilfunkgeräte aus, die sich verbinden. Im Umkreis von mehreren hundert Metern lässt sich so der Datenverkehr sämtlicher Handys abgreifen. Das heutige Büpf enthält keine ausdrückliche Gesetzesgrundlage für den Einsatz von IMSI-Catchern – dafür ist es zu alt. Deshalb ist umstritten, ob die Verwendung der Geräte zulässig ist. Martin Steiger, der sich als Anwalt mit Informationstechnologien befasst und dem neuen Büpf als Mitglied des «Vereins digitale Gesellschaft» kritisch gegenübersteht, verneint dies. Denn der Einsatz von IMSI-Catchern stellt einen weitgehenden Eingriff in die Privatsphäre dar, weil auch Daten von Personen erfasst werden, die nicht verdächtig sind. Wegen der hohen Eingriffs-Intensität gilt eine wasserdichte gesetzliche Grundlage im Straf- und Strafprozessrecht als besonders bedeutsam.
Das Thema steht deshalb in den Kantonen seit einiger Zeit verschiedenenorts auf der politischen Traktandenliste. Vergangenen Monat wurde bekannt, dass die Kantonspolizei Bern einen IMSI-Catcher anschaffen will. Das geheime Auffangen von Telefondaten sei ein schwerer Eingriff in die Privatsphäre, der nicht gebilligt werden dürfe, reklamierten die Grünen daraufhin in einem Vorstoss.
Verfolgung von Drogendealern
Als Folge dieser Entwicklung muss nun auch im Kanton Aargau die Regierung öffentlich machen, ob die Kantonspolizei IMSI-Catcher verwendet. Die grüne Grossrätin Kathrin Fricker hält deren Einsatz für nicht tolerierbar. Sie sagt, sie werde sich an einem Referendum beteiligen, sofern das neue Büpf IMSI-Catcher erlaube.
Bis heute ist, abgesehen von den Plänen der Berner Kantonspolizei, nur bekannt, dass die Zürcher Kantonspolizei sowie die Bundeskriminalpolizei über eigene IMSI-Catcher verfügen. Nun zeigt eine Umfrage der NZZ bei verschiedenen Kantonspolizeien, dass die Geräte schon heute viel breiter zum Einsatz kommen, als der Öffentlichkeit bewusst ist. Auf Anfrage bestätigen die Kantonspolizeien von Aargau, Solothurn, St. Gallen, Luzern, Waadt, Basel-Stadt und Schwyz, dass sie bei Bedarf schon heute leihweise auf die bereits vorhandenen IMSI-Catcher im Land zurückgreifen. Der Kanton Waadt macht bewusst keine Angaben dazu, ob er selbst einen Catcher besitzt.
Pro Jahr kommen IMSI-Catcher der Kantonspolizei Zürich in rund einem Dutzend verschiedener Kantone insgesamt etwa 30 Mal zum Einsatz. Gemäss Angaben eines Sprechers ermöglicht der von der Kantonspolizei Zürich eingesetzte IMSI-Catcher die Eingrenzung des Standorts eines Mobiltelefons und das Auslesen der International Mobile Subscriber Identity (IMSI). Das Gerät registriere aber keine weiteren Daten, insbesondere auch keine Telefonnummern und keinerlei Inhalte oder Verkehrsdaten der Mobilkommunikation. Es werde jeweils nur gezielt ein einzelnes Gerät lokalisiert, jedoch nicht der Datenverkehr zahlreicher Handys abgegriffen. Aus Sicht der Zürcher Kantonspolizei ist der Einsatz von IMSI-Catchern rechtlich eindeutig abgestützt: Jeder Einsatz stütze sich auf das Gesetz – im Rahmen von Notsuchen auf das Büpf und im Fall von kriminalpolizeilichen Zwecken auf die Strafprozessordnung. Zudem müsse jeder einzelne Einsatz vom Zwangsmassnahmengericht am Obergericht genehmigt werden.
Die betreffenden Kantone betonen, dass die Geräte nur vereinzelt und in ganz spezifischen Fällen benutzt würden. Genannt werden praktisch übereinstimmend die Suche und Rettung von Vermissten sowie die Ermittlung von Tätern bei schweren Straftaten. Ein typischer Anwendungsfall bei der Kriminalitätsbekämpfung ist die Verfolgung von Drogendealern. Dabei geht es bei den Kantonspolizeien nicht um präventive Überwachungsmassnahmen etwa im Rahmen der Terrorbekämpfung. Die Entwicklung zeigt aber, dass der Einsatz von IMSI-Catchern wohl weiter zunehmen wird – auch weil bei den Geräten ein Preiszerfall zu erwarten ist. Die Berner Kantonspolizei rechnet heute noch mit Beschaffungskosten von über 700 000 Franken.
Alle Personen erfasst
Die Büpf-Revision bringt nun Klarheit in Bezug auf die Rechtslage. Der Einsatz von IMSI-Catchern zeigt dabei deutlich, wie sehr die Gesetzgebung der rasanten technologischen Entwicklung hinterherhinkt. Deshalb wird die Schaffung einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage mehrheitlich begrüsst. Bedenken gibt es dennoch, insbesondere weil im entsprechenden Mobiltelefonnetz die Kommunikation aller Personen erfasst wird, die sich im Umkreis des abgehörten Benutzers aufhalten. Damit stellt sich auch die Frage nach der Verwertung von Zufallsfunden (vgl. Zusatz). Grundsätzlich gilt allerdings: Auch mit dem revidierten Büpf dürfen IMSI-Catcher nicht bedingungslos und auf Vorrat zum Einsatz kommen: Das revidierte Gesetz verlangt für einen solchen Eingriff jeweils die Zustimmung des Zwangsmassnahmengerichts.
Zurückhaltung bei der Überwachung
fon. ⋅ Das Bundesgericht will die Bedingungen, unter denen die Staatsanwaltschaft in einem Strafverfahren Verkehrsdaten von Handys bei Drittpersonen rückwirkend erheben darf, nicht lockern. Das hat es jüngst an einer öffentlichen Sitzung festgehalten. Anhand solcher Daten kann man feststellen, wo sich der Betreffende bei Gesprächen befunden und mit wem er gesprochen hat. Laut Strafprozessordnung ist die Erhebung von Verkehrsdaten namentlich nur zulässig, wenn ein dringender Tatverdacht vorliegt, es sich um ein schwereres Delikt handelt und eine gerichtliche Bewilligung vorliegt. Nicht völlig klar ist hingegen, welcher Kreis von Personen – abgesehen vom Beschuldigten – überwacht werden darf. Das Bundesgericht präzisiert nun, dass die rückwirkende Überwachung gegenüber nicht beschuldigten Personen nur mit besonderer Zurückhaltung einzusetzen ist. In jedem Fall müsse ein direkter Zusammenhang zwischen der Überwachungsmassnahme und dem Delikt vorliegen. Die rückwirkende Erhebung von Handy-Daten sei zwar nicht so schwerwiegend wie die aktive Abhörung, bei der Gesprächsinhalte ermittelt würden, stelle aber immer noch einen erheblichen Grundrechtseingriff dar. Gleichzeitig wollen die Richter die Tür für eine gewisse Ausweitung der Überwachung in künftigen Fällen offen lassen. Der Gesetzgeber habe nicht an alles gedacht, eine pragmatische Entwicklung der Praxis müsse möglich sein.