Eine neue Epidemie muss her!

Forscher entdecken in heimischen Zecken neuen Krankheitserreger

Eine lungentransplantierte Patientin leidet plötzlich an Hepatitis. Schuld daran sind sogenannte Spiroplasmen.

Da die vom Hausarzt verordnete Antibiotika-Therapie nicht anschlug, kam eine 70-jährige Patientin notfallmässig ins Universitätsspital Zürich. Die Frau hatte unspezifische Symptome, darunter Fieber, Übelkeit, Unterleibsschmerzen und äusserlich auffällige Wassereinlagerungen am Körper. Ihr Zustand hatte sich trotz intensivmedizinischer Betreuung immer weiter verschlechtert.


Erst als die Mediziner mithilfe der Positronen-Emissions-Tomografie die Aktivität der Stoffwechselvorgänge einzelner Organe im Detail untersuchten, stach auf der Aufnahme die Leber geradezu dunkel heraus. «Die Patientin litt an einer Hepatitis», sagt der Infektiologe Nicolas Müller vom Universitätsspital Zürich. Erstaunlich sei, dass die Erkrankung durch kleine, zellwandlose Bak­terien, sogenannte Spiroplasmen, ausgelöst worden sei. Einen solchen Hepatitis-Fall habe man bisher weltweit noch nicht gekannt, berichtet der Zürcher Mediziner gemeinsam mit Kollegen im «American Journal of Transplantation».


Bisher drei infizierte Personen

Die Zürcher Patientin, die vor zwölf Jahren eine Lunge gespendet bekam, hatte seit der Transplantation keine schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme. Sie war körperlich fit und hielt sich viel im Freien auf, zum Beispiel in ihrem Garten. Und auch die tägliche Einnahme von Immunsuppressiva, um die Abwehrreaktionen des Immunsystems gegen das fremde Organ zu unterdrücken, machten ihr zuvor nicht weiter zu schaffen.


Dennoch lösen diese speziellen bakteriellen Erreger insbesondere bei Pa­tienten mit einem schwachen oder noch nicht gut entwickelten Immunsystem Krankheiten aus, wie sich jetzt gezeigt hat. Denn zeitgleich zu dem Fall in Zürich gab es in Spanien einen Patienten mit rheumatoider Arthritis, der ebenfalls aufgrund seiner Erkrankung Immunsuppressiva einnehmen musste. Bei ihm stellten die Ärzte erhöhte Entzündungswerte im Blut und eine Blutarmut fest. Und bei einem Neugeborenen verursachten Spiroplasmen vor ein paar Jahren eine Bindehautentzündung.


Bei der Zürcher Patientin haben die Erreger dagegen zu einer Hepatitis mit Gallenstau geführt. Das heisst, dass die Leber nicht mehr in der Lage ist, Gallensäuren als auch die chemischen Abbauprodukte des roten Blutfarbstoffs in den Darm auszuscheiden. Als Folge stauen sich diese Substanzen in der Leber an. Ist das Lebergewebe dadurch zu stark belastet, treten diese Stoffe auch ins Blut über und können letztlich zur gelblichen Hautfarbe aufgrund eines Bilirubin-Anstiegs führen.


Weitere Zeckenerkrankung


Doch wo könnte sich die Zürcher Patientin angesteckt haben? Vielleicht durch eine Zecke? Bekannt war bisher, dass die blutsaugenden Spinnentiere unter anderem das Bakterium Borrelia burgdorferi sowie das Frühsommer-Meningoenzephalitits-Virus übertragen können. Seit ein paar Jahren weiss man zudem, dass im Grossraum Zürich das pathogene Bakterium Candidatus Neoehrlichia vorkommt. Die davon Betroffenen litten an Rückfallfieber, Gewichtsverlust und allgemeinem Unwohlsein.


Aus bisherigen Veröffentlichungen wussten die Zürcher Mediziner, dass Spiroplasmen in Zecken in Deutschland, der Slowakei, Finnland und Japan entdeckt worden sind. Dennoch hat zuvor noch nie jemand einen Zusammenhang zwischen mit Spiroplasmen infizierten Zecken und irgendeiner Erkrankung machen können; lediglich deren Existenz wurde nachgewiesen.


Um festzustellen, ob die bei der Hepatitis-Patientin gefundene Spiroplasmen-Art tatsächlich auch in Zecken in der Umgebung von Zürich auftritt, hat der Mikrobiologe Guido Bloemberg von der Universität Zürich in seiner umfangreichen Sammlung nach dem Pathogen gesucht. Und ist auch fündig geworden.


«Genau diese Spiroplasmen-Art haben wir im Blut und Lebergewebe der Patienten nachgewiesen», sagt Nicolas Müller. Ob sich die Frau tatsächlich auf diese Weise angesteckt hat, sei unklar. Aber es sei davon auszugehen, dass es nun eine neue Zecken­erkrankung in der Schweiz gebe, die sich jedoch bei rechtzeitiger Therapie behandeln lasse und bis jetzt nur bei Patienten mit eingeschränktem Immunsystem aufgetreten sei. So konnte auch die 70-Jährige das Spital alsbald wieder verlassen; sie hat die Gelbsucht gut überstanden.


(Tages-Anzeiger)

(Erstellt: 23.04.2015, 23:30 Uhr)